München ist eine Bühne. Hier darf jeder sein, wie er ist – oder wie er sein möchte. In München zeigt sich Grandezza im Großraumbüro, Würde auf dem ViktualienMarkt und dieses gewisse Laissez-Faire, das nicht „Larifari“ bedeutet, sondern „Sein-Lassen“ im besten Sinne des Wortes. Denn hier mag man sich und auch die Anderen. München ist nicht umsonst die beliebteste Stadt Deutschlands - und, wie jede wahre Schönheit, ist sie sich der Missgunst anderer noch nicht einmal bewusst.

Vor allem hinter den Kulissen, in den kleinen Ecken und Winkeln, da menschelt es. Da spielen die Münchner abseits von „Bussi-Bussi“ keine einstudierte Rolle, da sind die Menschen ganz bei sich. Nicole Giesa guckt gern hinter die Kulissen: Sie maßt sich nicht an, Fotografin zu sein oder Künstlerin. Aber sie hat diesen Blick. Das Gespür für den Augenblick, die Perspektive, den Bildausschnitt.

Nicole Giesa ist nach einem Schicksalsschlag zum Jahreswechsel von Berlin nach München gezogen und hat sich die Stadt im lockdown erwandert: 800 Kilometer in 10 Wochen. Zuerst war sie eine Getriebene, eine Suchende, verloren, orientierungslos, ohne Halt. Doch während sie lief passierte etwas Wundervolles: Mit der Neugier eines Kindes hat sie München erkundet und neue Perspektiven entdeckt.

Aus ihren Bildern spricht etwas Zärtliches, Liebe- und Respektvolles. Sie fangen Intimes ein und sind dennoch nicht voyeuristisch. Scheinbare Alltagssituationen und Belangloses bekommen durch ihren Blick etwas Zauberhaftes. Und sind es keine Menschen, die sie ablichtet, dann sind es menschliche Werke, die durch ihre Augen eine ganz eigene Geschichte erzählen.

Sogar die Zeit des Shutdowns verliert ihren dystopischen Charakter – Nicole Giesa hat es geschafft, München ein menschliches Gesicht zu geben, selbst als die Stadt menschenleer war. (Betram Hennig)

„Look If you had one shot, or one opportunity

To seize everything you ever wanted

One moment

Would you capture it or just let it slip?“

Eminem, Lose yourself